Donnerstag, 08. November 2012 | News | Blog

Unisex-Tarife - schnell handeln oder doch noch warten?

Ab dem 21.12.2012 dürfen europaweit nur noch geschlechtsneutrale Versicherungstarife angeboten werden, die sogenannten Unisex-Tarife. Stephan Bauermeister, Leiter des Versicherungscenters bei der Kreissparkasse Augsburg gibt Ratschläge wie man sich derzeit verhalten soll.

Interview mit Stephan Bauermeister, Versicherungsfachmann (BWV) und Bankfachwirt (IHK). Er leitet bei der Kreissparkasse Augsburg das Versicherungscenter als Kompetenzzentrum für alle Beraterinnen und Berater des Hauses. Zudem ist Herr Bauermeister für den aiti-ExpertenRat aktiv. Er steht GründerInnen und UnternehmerInnen für individuelle Fragestellungen im Bereich der betrieblichen Absicherung zur Verfügung. 

 

Herr Bauermeister, alle reden von Unisex und neuen Versicherungstarifen. Was genau steckt dahinter?
Gemäß dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 1.3.2011 dürfen Versicherer bei den Prämien zwischen Frauen und Männern nicht mehr differenzieren. Anlass für die Entscheidung des Gerichtshofes ist eine Studie des Vienna Institute of Demography in bayerischen Klöstern, wonach Männer bei gleichem Lebenswandel genauso lange leben wie Frauen. Unterschiedliche Versicherungstarife wurden also als diskriminierend erklärt. Das bedeutet nun für die Versicherer, dass sie ihre gesamte Tariflandschaft komplett neu ordnen müssen von der Kfz-Versicherung bis hin zur Pflegeversicherung. Die Regelung gilt für alle Neuverträge ab dem 21. Dezember 2012. Bei den Pflege-, Kranken- und Risikolebensversicherungen wird es dann wohl die größten Preisunterschiede geben.
Übrigens folgen die privaten Versicherer damit der gesetzlichen Versorgung, wo Unisex bereits seit Jahrzehnten Realität ist, denn weder in der gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung, noch in der Rentenversicherung spielt das Geschlecht in der Leistung und im Beitrag eine Rolle.


Wie stellt sich die Tarifänderung konkret am Beispiel der Altersvorsorge dar?
Nach der bisherigen Kalkulation haben Frauen aufgrund einer höheren Lebenserwartung, die ja durch Statistiken belegt ist, bei gleichem Geldeinsatz weniger Rente ausgezahlt bekommen als Männer, schließlich wird die Rente lebenslang bezahlt und musste bisher für einen längeren Zeitraum reichen als bei Männern. Durch die Entscheidung des EuGH bekommen nun beide den gleichen Betrag. Die Rentenversicherung würde dadurch für Männer deutlich unattraktiver, da diese ja weniger ausbezahlt kämen. Ein Tarifbeispiel*: Ein 65-jähriger Mann kann derzeit 100.000 Euro in einen lebenslange monatliche Sofortrente von 458 Euro umwandeln, eine gleichaltrige Frau bekäme aber nur 433 Euro ausbezahlt, da sie ja im Schnitt eine höhere Lebenserwartung hat. Wenn beide Geschlechter gleich berechnet werden, bekämen beide theoretisch dasselbe, also ca. 445 Euro. (* lt. aktuellem Tarif der Versicherungskammer Bayern).

 

Gibt es auch Tarife, die für Frauen teurer werden?
Ja – auch das ist der Fall. Positiv wirkte sich die längere Lebenserwartung der Frauen bisher in der Risiko-Lebensversicherung aus. Hier waren Frauen bisher deutlich günstiger, die Beiträge werden hier ab 21.12.2012 zu Ungunsten der weiblichen Versicherungsnehmer um ca. 15-25%, je nach Anbieter, nach oben gehen.
Auch die private Unfallversicherung wird angeglichen. Hier hatten Frauen bisher den Vorteil, dass der ausgeübte Beruf in der Risikoklassifizierung keine Rolle gespielt hat. Es gab, anders als bei Männern, keine Gefahrengruppen-Einteilung. Das ändert sich zum 21.12.2012 und wird den Männern angepasst.

 

Sollte nun jeder schnellst möglich alle seine Versicherungen umstellen?
Sicherlich nicht. Zum einen: Viele Versicherer haben teilweise noch keine Unisex-Tarife. Deshalb bieten sie eine Umtauschoption an. Das heißt, wenn ich jetzt noch eine neue Versicherung vor dem 20.12.2012 abschließe, habe ich die Möglichkeit, zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 1.Juni 2013 in einen geschlechtsneutralen Tarif zu wechseln, wenn dieser dann billiger ist oder bessere Leistungen beinhaltet. Wenn kein dringender Handlungsbedarf besteht, dann kann es sinnvoll sein abzuwarten. Einige Anbieter können Ihnen bereits die „alten“ Bi-Sex Tarife und die neuen UniSex-Tarife im Vergleich gegenüberstellen und es gibt auch bereits Gesellschaften, die inzwischen ausschließlich UniSex-Tarife im Portfolio haben.
Zum anderen betrifft die Geschlechterneutralität nur Neuabschlüsse. Bestandspolicen bleiben zunächst unverändert und sind nur dann betroffen, wenn sich der Vertrag insgesamt ändern sollte. Deshalb sollte man erst einmal in Ruhe und ganz ohne Zeitdruck den eigenen Bedarf ermitteln.

 

Was bedeutet Bedarfsermittlung konkret beispielsweise bei der Altersvorsorge?
Man sollte zuerst genau die eigene Versorgungslücke ermitteln und die eigene, ganz individuelle Versorgungssituation erkennen. Um den Bedarf möglichst genau zu ermitteln benötigen wir Unterlagen zu den erworbenen Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung, also von der Deutschen Rentenversicherung Bund/Land, oder einem ähnlichen Versorgungswerk, genauso wie Unterlagen zu Ansprüchen einer betrieblichen Altersversorgung und zur bereits bestehenden privaten Versorgung sowie private Unterlagen wie Verdienstbescheinigungen, um die steuerlichen Vorteile bestmöglich ermitteln zu können. Je aktueller die Unterlagen sind, desto genauer und detaillierter ist die Versorgungsanalyse.
Die Differenz zwischen dem gegenwärtigen „Ist“ und der eigenen „Wunschrente“ ist der Handlungsbedarf. Eine solche Analyse sollte man alle 4-5 Jahre wiederholen, denn so lassen sich Veränderungen der persönlichen Lebenssituation mit berücksichtigen und wir können böse Überraschungen wie z.B. geringere Rentenansprüche aus einer der o.g. Versorgungen, abmildern, indem entsprechende zusätzliche Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Wenn man seine Bedarfslücke kennt, kann man gezielt nach der passenden Lösung suchen. In jedem Fall sollte man Angebote immer sorgfältig prüfen und die Alternativen dazu vergleichen.

So gesehen bleibt alles wie es vorher auch war – nur anders.

Vielen Dank für das Gespräch.